Wie leben wir Pfarrgemeinde?
Ein Verbot öffentlicher Messen im Anschluss an staatliche Maßnahmen zur Eindämmung einer Pandemie hat es meines Wissens in der Geschichte der Kirche noch nie gegeben. Gegenwärtig erlaubt sind nur Feiern von nicht mehr als zehn Personen in abgeschlossenen Räumen. In den Pfarren wird unterschiedlich auf diese Situation reagiert. Ich habe mich dazu entschlossen, unter den gegebenen Verhältnissen gänzlich auf die Feier der Messe zu verzichten. Ich will das im Folgenden kurz begründen.
In Artikel 41 und 42 der Konstitution über die heilige Liturgie des 2. Vatikanischen Konzils ist von der Förderung des liturgischen Lebens in Bistum und Pfarrei die Rede. Bezogen auf die Feier des Bischofs in der Kathedralkirche heißt es, „dass die Kirche auf eine vorzügliche Weise dann sichtbar wird, wenn das ganze heilige Gottesvolk voll und tätig an denselben liturgischen Feiern, besonders an derselben Eucharistiefeier teilnimmt …“ (SC 41) „Da der Bischof nicht immer und überall in eigener Person den Vorsitz über das gesamte Volk seiner Kirche führen kann, so muss er diese notwendig in Einzelgemeinden aufgliedern. Unter ihnen ragen die Pfarreien hervor, die räumlich verfasst sind unter einem Seelsorger, der den Bischof vertritt; … Es ist darauf hinzuarbeiten, dass der Sinn für die Pfarrgemeinschaft vor allem in der gemeinsamen Feier der Sonntagsmesse wachse.“ (SC 42)
Das bedeutet, dass Kirche dann vorzüglich sichtbar wird, wenn (intentional) alle Mitglieder der Pfarrgemeinde voll und tätig an der Feier einer Sonntagsmesse teilnehmen. Die öffentliche Feier der Sonntagsmesse ist also in herausragender Weise jene Gestalt, in der sich die Pfarrgemeinde darstellt und erfährt. Nur sie erlaubt die volle und tätige Teilnahme (intentional) aller Mitglieder der Pfarrgemeinde. Eben diese Form der Teilnahme entspricht auch dem in der erneuerten Liturgie gepflegten Verständnis von Eucharistiefeier. Wenn keine öffentliche Messfeier möglich ist, kann selbstverständlich auch im kleinen Kreis Eucharistie gefeiert werden, von wenigen gewissermaßen stellvertretend für viele. Das wird auch vielfach gemacht. Doch das ist kein Ersatz für eine öffentliche Feier der Sonntagsmesse. Ich habe mich entschlossen, einen radikalen Weg einzuschlagen und auf die Feier der Messe an Sonntagen und auch an Wochentagen zu verzichten, solange keine öffentlichen Feiern möglich sind. Diese Radikalität ist für mich und sicherlich auch für nicht wenige andere schmerzhaft. Ich halte mich aber verpflichtet, diese Haltung einzunehmen und nicht hinter ein bereits erreichtes hohes Verständnis von der Bedeutung der Eucharistiefeier als Darstellung der Gemeinde
zurückzugehen.
Wir dürfen nicht vergessen, dass, wenn schon die Sonntagsmesse als die vorzügliche und herausragende Form der Darstellung von Kirche gilt, es doch auch viele andere Formen gibt, in denen sich die Gemeinde, also die Kirche am Ort, zeigen kann. Da sind die caritativen Tätigkeiten, bei uns besonders die Wärmestube, die sozialen Dienste, die Hilfen für Menschen, die als Flüchtlinge zu uns gekommen sind, der Flohmarkt und vieles mehr.
Da sind die Tätigkeiten der Kinder und Jugendlichen, besonders die Sternsingeraktion und vieles, was in den ununterbrochenen Kontakten geschieht. Da ist das Engagement zum Schutz und zur Pflege der uns anvertrauten Schöpfung. Da ist die von der Pfarrkanzlei gepflegte Aufmerksamkeit füreinander. Da sind die vielen oft verborgenen
Hilfeleistungen. Da ist vor allem auch das Gebet, in Zukunft auch eine stille Anbetung vor dem Allerheiligsten an jedem Freitag. Und da ist auch die sorgfältige Gestaltung und Pflege des Raumes der Konzilsgedächtniskirche, der Tag und Nacht zugänglich bleibt.
Mir ist klar, dass die von mir eingenommene Haltung nicht von allen geteilt wird. Man kann auch anderer Meinung sein, gewiss. Doch ich weiß mich zu jener Radikalität verpflichtet. Es gibt andere Möglichkeiten, mit dem Verbot öffentlicher Messen umzugehen, es gibt Ersatz für gemeinsames Erleben gerade durch die Möglichkeiten virtueller Kommunikation. Wir leben in einer Gesellschaft, wo für vieles Ersatz geboten wird. Doch vielleicht müssen wir wahrnehmen lernen, dass manches nicht ersetzbar ist. Wenn es, aus welchen Gründen auch immer, nicht gegeben oder nicht durchführbar ist, bringt vielleicht ein Verzicht mehr als das Ausweichen in Ersatzhandlungen. Der Sinn für das Gewicht und den tiefen Wert dessen, worauf verzichtet wird, kann feiner werden. Und vielleicht wird uns ein vertiefter Sinn für die geheimnisvolle Mitte unserer Pfarrgemeinde gerade dadurch geschenkt, dass wir vorübergehend auf die „vorzügliche Manifestation der Kirche“ (SC 41) verzichten.
Gustav Schörghofer SJ
zum Downloaden: Mitteilungsblatt Februar 2021