Mitteilungsblatt Juli und August 2016

Der Sommer ist schön

Was heißt das: Jesus entdecken? Jesus hat sich nicht mit sich selber beschäftigt, er war nicht auf der Suche nach sich selbst. Er hat das gesucht, was verloren war. Er hat sich auf die Suche nach den Menschen am Rand der Gesellschaft gemacht, er hat wahrgenommen, was übersehen wurde, die kleinen Dinge, die unansehnlichen Lebewesen, die Verachteten und Übergangenen. In unserer Gegenwart gehört Jesus selber zu ihnen. Er ist in Vergessenheit geraten. Er wird nicht wahrgenommen. Was heißt es, diesen Jesus heute zu entdecken?

Von Berufs wegen müsste ich über diesen „Jesusverlust“ traurig sein. Ich bin es aber nicht. Ich sehe darin eine große Chance. Nur selten in der Geschichte wurde der Kirche eine solche Möglichkeit geboten. Wir können heute die Welt mit Jesus völlig neu entdecken.

Mich fasziniert an Jesus, dass er sich nicht distanziert zur Welt verhält und aus sicherer Entfernung feststellt, dass alles anders werden müsse. Er lässt sich auf die Welt ein. Er erklärt ihr nicht zuerst, was alles verkehrt ist und verbessert werden müsse, sondern er entdeckt in der Welt, in den Menschen dieses Bessere. Es ist ja bereits vorhanden und muss nur zur Entfaltung kommen. Der liebende Blick Jesu auf die Welt entdeckt in ihr eine Schönheit. Er sieht nicht nur die Misere, das Elend, die Erbärmlichkeit und all das Übel. Er sieht inmitten von all dem und verborgen in all dem eine unglaubliche und unfassbare Schönheit. Diese Schönheit spricht er an, diese Schönheit bringt er zur Entfaltung, dieser Schönheit schafft er Raum. Der Beweggrund Jesu für sein Bemühen um die Welt ist eben das.

Jesus entdecken bedeutet daher, die Welt mit seinen Augen sehen, mit seinen Ohren hören, mit seinen Sinnen wahrnehmen lernen. Werner Bergengruen hat in seiner Grabrede für Reinhold Schneider ein Gedicht des Persers Nisami erwähnt, von Goethe im Westöstlichen Diwan überliefert: alle des Wegs Kommenden schelten auf das stinkende Aas des daneben liegenden Hundes, Jesus aber sagt nur: "Die Zähne sind wie Perlen weiß." Diese Geschichte enthält einen wesentlichen Hinweis darauf, wie Jesus die Welt gesehen hat. Er hat nicht verurteilt, gewiss nicht. Er hat aber wesentlich mehr getan. Er hat in den niedrigen Seiten der Wirklichkeit, in dem, was verachtenswert und verwerflich erscheint, eine Schönheit entdeckt. Jesus heute entdecken bedeutet für mich, mit ihm diesen Blick auf die Welt einüben. Schönheit kann ich nicht herstellen. Sie ist bereits da. Ich muss sie bloß entdecken. Ich werde sie entdecken, wenn ich die Welt mit den Sinnen Jesu wahrnehme.

Einen schönen Sommer!
Gustav Schörghofer SJ