Wir finden immer
Wenn von Dingen des Glaubens die Rede ist, kommen immer wieder die Sehnsucht und das Suchen ins Spiel. Sehnsucht nach Gott, Sehnsucht nach erfülltem Leben, Suchen nach Sinn, nach Liebe – die Sehnsucht treibt voran, von einem zum anderen, eine nie endende Suche. Nie wird die Sehnsucht gestillt. Nie kommt die Suche an ein Ende. Der Suchende kommt nie an. Vom eigenen Ungenügen ausgefüllt wirken die Suchenden wie jene unscheinbaren Ballbesucherinnen, die nie zum Tanz aufgefordert werden, die nie Beachtung und Bewunderung finden, die sich mit einem Leben am Rand schon längst abgefunden haben und doch eine stille Glut in sich bergen, eine verborgene Sehnsucht, dass es einmal noch anders komme. Selbstverständlich spielt im Glauben die sehnsüchtige Suche eine große Rolle. Was aber, wenn sie zur Gewohnheit wird? Wenn ich gar nicht mehr merke, dass ich immer wieder auch finde? Jede intensive Suche führt in die Fülle des Findens. Was geschieht mit mir, wenn mir die Fülle dessen bewusst wird, was ich in meinem Leben gefunden habe und täglich neu finde?
Die Bibel ist vor allem ein Buch des Findens. Gott findet sich ein Volk, er findet dieses Volk immer neu. Das Volk Israel findet Befreiung, es findet ein Land, es findet immer wieder Hilfe und findet immer wieder zurück zu Gott. Die Hauptbeschäftigung Jesu ist das Finden. Die Gleichnisse vom Himmelreich kreisen um das Finden. Der Schatz im Acker und eine kostbare Perle werden gefunden. Das verlorene Schaf und verlorenes Geld werden gefunden. Jesus findet die Apostel, er findet die Menschen in Not, die Kranken, die Leidenden, die an den Rand der Gesellschaft Gedrängten. Er findet seine Gegner und er findet zuletzt auch seinen Tod. Das Finden Jesu hat etwas Kreatives, es zeigt, wie wunderbar er mit den Gegebenheiten der Welt umgehen, sie gestalten konnte. Da immer gefunden wird, geht von Jesus ein Glanz aus, als würde er ständig die Freude eines Festes in sich bergen. Er findet Schönheit dort, wo andere nur Dreck sehen, er findet Glauben dort, wo andere nur Ungenügen wahrnehmen, Fülle, wo andere nur Mangel erkennen. Das Finden Jesu hat etwas Sieghaftes.
Die Verwandlung meines Lebens kann durch Teilnahme am Finden Jesu geschehen. Ich kann mich in die Schule seiner Hellsichtigkeit, seiner Hellhörigkeit begeben. Der November eignet sich wunderbar dazu, im Grau den Zauber nie wahrgenommener Farbnuancen zu entdecken, im Dunkel das Bergende zu genießen und im Nieselregen das nie endende Entgegenkommen einer behutsamen Gnade zu ahnen. Und vielleicht bekommt auch der Satz „Sie hat den Tod gefunden“ ein ganz neues Gewicht. Denn in ihm wird gesagt, dass sich jemand als Suchender auf sein Ende zubewegt und das ihm Begegnende schöpferisch gestaltet. Dann ist auch hier ein Fest zu finden, eine nicht zu sagende Erfüllung.
Gustav Schörghofer SJ
zum Downloaden: Mitteilungsblatt November 2016