Mitteilungsblatt Juli – August 2017

Die Bikini-Figur

Der Ruf nach dem Neuen ist allgegenwärtig. Ständig werden neue Dinge ersonnen, wird Neues angeboten. Neue Säfte, neue Autos, neue Computersysteme, neue Kühlschränke, neue Kommunikationsmittel, neue Ideen, neue Parteien. Niemand will altern. Der Körper wird einem ständigen Erneuerungsprozess unterworfen. Von den Zähnen bis zu den Zehen wird alles in einem fort auf Hochglanz gebracht. Neue Gelenke werden eingesetzt, die Gesichtshaut wird gestrafft, alle Welt läuft mit gefärbten Haaren herum. Für den kommenden Sommer wird mit Eindringlichkeit daran gearbeitet, eine passable Badefigur hinzukriegen. Jung und Alt will sich jugendlich präsentieren, schlank, frisch und frei von Ablagerungen aller Art.

Die Kirche ist alt. Zweitausend Jahre hat sie schon auf dem Buckel. Aber auch sie will jung sein. Auch sie ist auf der Suche nach der Bikini-Figur. Denn vielfach steht sie doch recht nackt vor den Leuten, und es wird an ihrer Figur in einer Tour herumgemäkelt. Die einen finden sie zu knochig, nur auf Regeln und Gesetzen beharrend. Den anderen ist sie bei weitem zu mollig, angepasst an die Unsitten der Gegenwart und viel zu nachgiebig. Wieder andere diagnostizieren die Infizierung der Kirche durch eine Art HIV, da es ihr an Widerstandskraft fehle. In dieser Situation versucht sich die Kirche eine Bikini-Figur zuzulegen, sie gibt sich frisch und munter, voller Lebensfreude und die Hände jubelnd in die Höhe gestreckt. Für einen Sommer wird’s schon reichen. Dann sehen wir weiter.

Mir fällt immer mehr auf, wie sehr das Motiv des Neuen die Kirche von Anfang an begleitet. Die Verkündigung Jesu ließ alles wie neu erscheinen. Der Blick auf Gott war offen und unverstellt. Der Blick auf die Welt war frisch. Alles erschien in einem bis dahin nicht gekannten Glanz. Von diesem Neuen ging eine große Faszination aus. Eine der schönsten Erneuerungsgeschichten ist für mich jene am Schluss des Johannesevangeliums, wo Jesus den Jüngern erscheint. Die Jünger hatten „aus Furcht vor den Juden die Türen verschlossen“. Da sie selber ja auch Juden waren, hatten sie offenbar auch Furcht vor sich selber. Da gab es eine Menge alter Rechnungen, die sie unbeglichen mit sich herumtrugen. Sie waren wie versteinert. Da haucht sie Jesus an und sagt zu ihnen: „Empfangt Heiligen Geist.“ Und weiter, wörtlich übersetzt: „ Wem ihr die Sünden loslasst, dem sind sie losgelassen, wem ihr sie festhaltet, dem sind sie festgehalten worden.“ (Joh 20, 19-23) Hier ist von einer neuen Schöpfung die Rede. Sie besteht darin, dass ich andere loslassen kann, sie in Freiheit setzen kann. Ich kann sie allerdings auch festnageln, sie an das Gewesene ketten. Dann bleibt alles beim Alten. Das Neue kommt, wenn ich freigebe, wenn ich andere, was immer sie mir angetan haben mögen, in Freiheit entlasse. Darin besteht die Bikini-Figur der Kirche. So bleibt sie immer jung.

Einen schönen Sommer!
Gustav Schörghofer SJ