Bitte warten!
Das Warten ist aus der Mode gekommen. Alles soll schnell gehen. Und es geht auch schnell. Beziehungen werden eingegangen und schon wieder gelöst. Nachrichten rauschen vorüber. Ein Bild jagt das andere. Langsam reifende Einsichten sind durch rasch erworbene Eindrücke ersetzt worden. Ereignisse werden vorweggenommen, das Zukünftige wird permanent in die Gegenwart hineingesaugt, verbraucht und als Abfall verworfen. Den Dingen wird keine Zeit geschenkt, langsam anzukommen. Den Ereignissen wird nicht die Möglichkeit geboten, sich zu ereignen. Sie werden erledigt.
Weihnachten ist längst zu einem Fest verkommen, das nach gewohnten Mustern erledigt wird. Ein Glück, wenn nichts schiefgeht, wenn keine Malheurs passieren, die Sache einmal ohne Streit vorübergeht. Aber muss das so sein? Lässt sich nicht Weihnachten neu entdecken? Wir könnten es wieder einmal mit dem Warten versuchen. Wir könnten das Warten neu lernen. Vielleicht entdecken wir dann den Zauber des Lebens von neuem. Denn Leben heißt immer warten. So hat es ja begonnen, während dieser ersten neun Monate des Wachsens und der Vorbereitung.
Aber wie ist das Warten zu lernen? Im Alltag bieten sich viele Möglichkeiten. Es hat immer damit zu tun, dass etwas geschieht, das ich nicht von mir aus beschleunigen kann. Meine ganze Ungeduld wird nicht ausreichen, um die Straßenbahn zu beschleunigen, den alten Herrn vor mir zu einem zügigeren Tempo zu bewegen, die Begriffsstutzigkeit mancher Mitmenschen in höhere Formen des Auffassungsvermögens zu verwandeln. Warten wird vielfach in der Gestalt der Geduld gelebt. Geduld zu üben bedeutet, dem anderen die Zeit zu schenken, die er für seine Weise des Voranschreitens nötig hat. Ich kann auch eine Pflanze nicht aus dem Samen gewaltsam herausziehen. Sie entfaltet sich von selber, wenn ich die nötigen Bedingungen schaffe.
Das Warten schafft Bedingungen, die eine Entfaltung des Anderen, ein Entgegenkommen ermöglichen. Es ist daher keine passive Verhaltensweise, sondern kreatives Tun. Warten bedeutet, sich auf eine Ankunft vorzubereiten und dem Ankommenden Raum zu bieten. In diesem Sinn ist jedes Beten ein Warten. Jedes Hören oder Spielen von Musik ist ein Warten. Auch ein Gespräch kann diesen Charakter bekommen. Hören und Sprechen, Hören und Spielen ereignen sich in der Zeit und führen zu einer Entdeckung. Der Zusammenhang einer Musik wird wahrnehmbar, das Entwickeln von Gedanken oder die Vertiefung einer Beziehung wird im Gespräch erfahrbar. Es gibt sich etwas zu erkennen. So kommt mir immer wieder und immer neu etwas entgegen, das ich nicht von mir aus machen kann, das sich mir aber als ein Geschenk mitteilt. Warten bedeutet, sich für das Entgegenkommen des Geschenkten offen zu machen. Warten bedeutet, der Welt die Chance zu geben, mehr zu sein als bloß die Summe meiner Wünsche und Vorstellungen.
Einen schönen Advent! Gustav Schörghofer SJ
zum Downloaden: /data/cmspagecontents/462.pdf