Warten können
Advent sei eine Zeit des Wartens, der inneren Vorbereitung auf eine Ankunft – so heißt es. Aber von Warten und stiller Vorbereitung kann nicht die Rede sein. Kaum sind die Weihnachtsmärkte eröffnet, und sie werden immer früher eröffnet, kaum brennen die Beleuchtungen der Einkaufsstraßen, nimmt das Verhängnis seinen Lauf. Die zum Konsum animierten Scharen kommen ihrer Verpflichtung nach, den Umsatz auch dieses Jahr möglichst zu steigern. Auch heuer wird sich daran nichts ändern, obwohl die Belastungen immer höher, die Nöte spürbarer werden.
Aber wir können auch anders. Wir können tatsächlich warten. Wir können uns vorbereiten. Wir können den Lebensstil ändern, nicht das Altgewohnte einfach fortschreiben, sondern uns auf etwas Neues einlassen. Dazu wäre jetzt Gelegenheit.
Warten ist eine Grundhaltung des Lebens. Das Leben beginnt mit einer Wartezeit, neun Monate lang. Alles Neue muss erwartet werden. Ohne Warten und Erwartung würde das Leben leer werden. Wenn es nichts mehr zu erwarten gibt, ist das Leben am Ende. Worauf wird gewartet?
Ich warte auf etwas, das zwar schon anwesend aber mir noch nicht wirklich gegenwärtig ist. Das lässt sich schön vor einem Kunstwerk erfahren. Selbstverständlich ist das Bild mir vor Augen, es hängt dort an der Wand. Aber dass es mir gegenwärtig wird, dass es zu mir spricht, sich mir auftut, das erfordert eine oft lange Zeit des Wartens. Ich muss mich leer machen für die Gegenwart des Kunstwerks, frei von Vorstellungen, Informationen, Phantasien mich auf das einlassen, was hier vor Augen ist. Das gleiche gilt für die Begegnung mit anderen Menschen. Wie viel tragen wir an andere heran, Wünsche, Erwartungen, Vorurteile. Alles das muss sich auflösen, wenn ich den Anderen wahrnehmen will. Nur so kann Beziehung gelebt werden.
Wie oft verhindert der Drang, die Dinge dieser Welt zu verbessern, die Einsicht in das Wunderbare vor unseren Augen. Mit Gott ist es nicht anders. Was haben wir Gott nicht alles vorzuwerfen? Was bleibt er uns nicht alles schuldig? Was könnte er nicht alles besser machen? Aber wissen wir wirklich so gut Bescheid? Oft wird erst im Rückblick ersichtlich, dass durch die noch so großen Dunkelheiten ein geheimnisvoller Weg ins Freie geführt hat.
Ich bin vorsichtig geworden. Ich habe gelernt, zu warten und mich überraschen zu lassen. Das Warten habe ich beim Betrachten von Kunstwerken, dem Hören von Musik, in der Begegnung mit Menschen eingeübt. Warten erfordert die Treue zum Gegenüber. Freilich muss das Gegenüber auch eine Qualität besitzen, die das Warten ermöglicht. Was nur der Unterhaltung dient, besitzt diese Qualität nicht. Aber selbst in den kleinsten Dingen ist ein Wunder zu entdecken. Wie in jenem Geschehen, das aus dem Kleinsten im Leib einer Mutter Gestalt annimmt und zu einem neuen Leben heranwächst. Erwartet und mit Freude empfangen am Tag der Geburt.
Gesegnete Weihnachten! Gustav Schörghofer SJ
zum Downloaden: /data/cmspagecontents/824.pdf