Die Lehre der Brache
Der im April des vergangenen Jahres verstorbene Lois Weinberger war ein wunderbarer Künstler. An seinem Werk hat mich vor allem eines angezogen und immer neu erstaunt, wie er nämlich den Blick auf verachtete Bereiche unserer Umgebung zu lenken wusste und gerade dort Wunder und Schönheit entdecken lehrte. Da waren etwa die Brachen, Schutthalden und Schottergelände, wo etwas wuchs, das keinen Eingang fand in die gepflegten Gärten, das von diesen sorgfältig gehüteten Bereichen erlesener Schönheit ausgeschlossen blieb. Lois Weinberger aber konnte in den Ruderalpflanzen Wunder entdecken, sie als Zeugen einer unerhörten Schönheit wahrnehmen lehren. Ja, sein Werk ist für mich eine Lehre, dass eben dort, wo nichts zu geschehen scheint, dass gerade dort etwas zu entdecken ist, dass gerade dort Entscheidendes geschieht.
In gewisser Hinsicht war unsere Pfarre in den langen Wochen des Lockdowns eine Brache. Sie schien ein stilles schotteriges Gelände, keine Messen, keine Gottesdienste, keine Gruppen, keine Versammlungen, nichts. Es herrschte Stille. Ich war oft in der Kirche. Ich habe gehofft und gebetet, dass sich etwas zeigt. Doch was sollte sich zeigen? Was sollte auf einer verlassenen Schutthalde entstehen?
Es ist etwas entstanden. Es ist etwas geschehen. Es hat sich etwas gezeigt. Ich habe meinen Augen nicht getraut. Vielleicht war es gerade der aufgezwungene Stillstand selber, der den Blick für das Wunder eines Lebens geschärft hat, das sich vor mir und um mich herum wuchernd entfaltet. Selbst wenn keine Messen gefeiert werden, keine Gottesdienste stattfinden, keine Gruppen sich versammeln können: die Pfarre lebt, sie strahlt, sie wuchert in den schönsten Formen. Wärmestube, soziale Dienste, Obdach für Obdachlose, stilles Gebet, Anbetung, Sorge füreinander in Gesprächen, Briefe und Botschaften aller Art, brennende Kerzen und kurze Begegnungen. Vielleicht ist der beste Beitrag, den ein Priester zum Leben einer Pfarre leisten kann, manchmal gar keine Leistung, sondern ein Innehalten, ein Stillestehen, ein gesammeltes Achten auf das, was ohne sein Zutun vor seinen staunenden Augen entsteht.
Vielleicht täte es uns allen gut, nicht ständig Leistungen voneinander einzufordern, sondern einmal innezuhalten, still zu sein. Der Blick auf eine Brache kann lehren, Leben mit staunenden Augen neu zu entdecken. Und dankbar zu sein für das, was dort wächst, gedeiht und blüht, ohne mein Zutun, ohne mein Bemühen. Wunderbar ist, was der Geist Gottes bewirkt. Und ich bin all den Menschen unsagbar dankbar, die sich von diesem Geist bewegen lassen.
Tausend Dank! Gustav Schörghofer SJ
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