Mitteilungsblatt 1.1.2021-17.1.2021

​Eine ziemliche Enttäuschung

Merkwürdig ist es schon. Wenn wir die Sache einmal nüchtern betrachten, hätten die Ankündigungen weit Größeres erwarten lassen. Mehr Aufsehen in der Öffentlichkeit, mehr Aufwand in der Realisierung, mehr Professionalität in Planung und Ausführung. Statt dessen ist das alles ziemlich unauffällig vor sich gegangen. Nur ein paar Spezialisten haben Wind davon bekommen. Und natürlich auch die zufällig anwesenden Neugierigen. Irgendwie schade. Man hätte das Ganze schon besser aufziehen können. Die Sache hat ja wirklich ein Potential, das Zeug zu etwas ganz Großem. Wenn man sich das vorstellt: Menschwerdung Gottes! Das gehörte eigentlich ganz anders inszeniert. Stattdessen ist von Anfang an etwas schief gelaufen. Diese Geburt, dann langes Schweigen, dann ein ärmlicher öffentlicher Auftritt. Keine Elefanten, keine Aufmärsche, kein Glanz, kein Pomp, nicht einmal schnaubende Pferde, von Marschmusik gar nicht zu reden. Unterm Strich eigentlich, wenn man ehrlich ist, eine ziemliche Enttäuschung.

Enttäuschend ist ja auch dieses Weihnachten. Ja, das ganze Jahr ist eine Enttäuschung: für den Handel, für die Gastronomie, für den Tourismus, für die Kulturschaffenden, für die Kinder und die Jugendlichen, für viele Menschen. Nachdem immer soviel gearbeitet wird, so viel in die Verbesserung des Systems investiert wird, Zeit und Geld und Wissen und Engagement, da hätten wir wirklich etwas Besseres verdient.
Reduktion und Distanz sind die Leitwörter für den Alltag. Reduziert werden muss überall. Kontakte müssen reduziert werden, Einkäufe, Vergnügungen, Ansprüche auf Alltäglichkeiten. Wir gehen auf Distanz. Beides, die Reduktion und die Distanz, werden sehr oft negativ erfahren. Aber sie könnten ja auch etwas Positives haben. Vielleicht geht mir, wenn ich die Fülle des scheinbar Notwendigen und schon längst zur Selbstverständlichkeit Gewordenen reduziere, auf, was für mich wirklich von Bedeutung ist? Vielleicht merke ich, wenn ich mich von all dem freimache, was Tag für Tag auf mich einprasselt und sich an mich herandrängt, was in mir am Leben ist und sich entfalten will? Es könnte ja sein, dass Reduktion und Distanz einen ganz neuen Zugang zum Leben, zur Welt ermöglichen. Dass ich mit gesammelter Aufmerksamkeit und Hingabe das tue, was mir wichtig ist, nicht einfach das, was andere mir als wichtig aufdrängen.
Vielleicht wäre das gar nicht so schlecht. Mir fällt auf jeden Fall auf, dass Gott in seiner Menschwerden genau auf das gesetzt hat: Reduktion und Distanz. Dann sind nämlich konzentrierte Aufmerksamkeit und hingebungsvolle Nähe möglich. Anscheinend ist es gerade auf das angekommen. Das könnte ja auch noch heute gelten, denke ich mir.
Wache Sinne für die stille Zeit! Gustav Schörghofer SJ