Fürs neue Jahr
Jemand ist entgegenkommend, das bedeutet, er ist freundlich, er geht auf andere zu, nimmt andere wahr, ist aufmerksam und kümmert sich um das, was um ihn herum vor sich geht. Das muss nicht unbedingt absichtslos geschehen. Auch ein Verkäufer kann entgegenkommend sein. Die hohe Schule des Entgegenkommens ist aber doch jenes Verhalten, das im Blick auf den anderen nicht wieder den eigenen Vorteil im Sinn hat.
Gott ist entgegenkommend. Was soll das bedeuten? Es heißt, und davon weiß die Bibel viel zu berichten, er mache sich auf die Suche nach dem Menschen. Das fängt schon im Paradies an und geht so weiter in der Geschichte des Volkes Israel. In den Psalmen ist vielfach von der Suche des Menschen nach Gott die Rede, doch dieses Suchen ist ein Widerhall einer anderen, tieferen Suche, der Suche Gottes nach dem Menschen. Im Neuen Testament erhält diese Suche den Charakter einer ganz erstaunlichen Dringlichkeit.
Merkwürdig ist bei der Suche Gottes nach dem Menschen für mich nur eines: der Ort dieser Suche. Denn sie geschieht ja nicht dort, wo Leistung und Können der Menschen hell aufleuchten, wo Verdienste glänzen und Anerkennungen ausgetauscht werden. Gott ist entgegenkommend. Doch er begibt sich nicht in die Hallen der Paläste, in die Säle bedeutender Institutionen, in die Gesellschaftsräume der Wohlhabenden. Er begibt sich auch nicht in die Stuben der stets Korrekten, die Amtsräume der Pflichterfüller, in die Versammlungen der Braven. Das Entgegenkommen Gottes ist in ganz anderen Umgebungen zu erfahren.
Gott ist entgegenkommend. Er macht sich auf die Suche nach dem Versager und Verweigerer, nach dem Ausgestoßenen und dem Verachteten, nach dem Nutzlosen und Verbrauchten. Immer wieder werden in der Bibel jene Orte zu Orten der Gottesbegegnung, wo gerade nichts zu finden ist, die Wüsten, die Ödnisse, die leeren Landstriche der Seele, die sich scheinbar leblos ausbreiten ins Grenzenlose.
Wir leben in einer Gesellschaft der Tüchtigen. Was zählt, ist Leistung. Was Anerkennung findet, ist Erfolg. Was gilt, ist Durchsetzungsvermögen. Selbstverständlich besitzt auch diese Gesellschaft ihre Götter. Doch der Gott der Bibel, der entgegenkommende Gott, meidet solche Umgebungen. Wer sich nicht in die Zonen der eigenen Verzweiflung, des eigenen Versagens, der elementaren Wüsten des eigenen Lebens vorwagt, dem bleibt er fern. Mit all unserer Tüchtigkeit geben wir Gott keine Chance. Denn er will Wunder wirken, nicht Funktionen erfüllen. Er will das Neue und Unerwartete, nicht die Routine des Planbaren.
Die Einsicht, dass uns alles genommen ist, stellt uns in den Raum des Entgegenkommens. Wir sind nicht am Ende. Wir stehen erst am Anfang.
Ein schönes neues Jahr! Gustav Schörghofer SJ
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