Mitteilungsblatt Juli/August 2018

Wie entsteht ein atmender Raum?

„Da formte Gott, der Herr, den Menschen aus Erde vom Ackerboden und blies in seine Nase den Lebensatem. So wurde der Mensch zu einem lebendigen Wesen.“ (Gen 2,7) „Jesus sagte noch einmal zu ihnen: Friede sei mit euch! Wie mich der Vater gesandt hat, so sende ich euch. Nachdem er das gesagt hatte, hauchte er sie an und sprach zu ihnen: Empfangt den Heiligen Geist! Wem ihr die Sünden vergebt, dem sind sie vergeben; wem ihr die Vergebung verweigert, dem ist sie verweigert.“

(Joh20,21-23) Zweimal ist in diesen Texten vom Anhauchen die Rede. Am Beginn der Schöpfung entsteht der Mensch als lebendiges Wesen durch den Atem Gottes. Nach der Auferstehung Jesu werden die erstarrten Jünger zu neuem Leben erweckt, ebenfalls durch Anhauchen. Der Mensch atmet ein und atmet aus, er empfängt und wird gesandt, er nimmt auf und er gibt weiter. So entsteht ein atmender Raum.

Ein atmender Raum entsteht dort, wo ich empfange und mich beschenken lasse, und wo ich bereit bin, das Empfangene weiter zu geben. Ein schönes Bild dafür sind überfließende Brunnenschalen oder das in einem Krug überschäumende Bier. Das Entstehen eines atmenden Raumes setzt voraus, dass ich mich als Empfangenden begreife, dass ich wahrnehme, wie sehr ich der Beschenkte bin. Wie vieles erhalte ich, ohne dass ich mich darum bemüht hätte, ohne dass ich es verdient hätte, ohne dass ich darauf einen Anspruch gehabt hätte. Wenn ich mir dessen bewusst werde, schwindet die Angst davor zu kurz zu kommen, leer auszugehen oder benachteiligt zu werden. Ich lebe in einem Strom der Gaben, in einem nicht endenden Entgegenkommen. Wenn ich das weiß, werde ich bereit sein, auch selber zu geben, das Empfangene durch mich hindurchströmen zu lassen und andere zu beschenken. Dafür habe ich all das erhalten. Ich kann es nicht für mich bewahren, kann es nicht in mich verschließen. Es muss durch mich anderen mitgeteilt werden. So entsteht ein lebendiger, ein atmender Raum.

Eine Pfarrgemeinde ist ein atmender Raum. Sie gleicht jener Erde, die Gott durch seinen Lebensatem belebt. Und sie ist wiederum der Lebensatem in dem aus Erde, aus Stein, aus Beton errichteten Gebäude der Kirche. In diesem Gebäude geschieht etwas, wird etwas gefeiert, das von dort ausstrahlen soll, das ausströmen soll in alle Bereiche des Lebens, dass sie durch die versöhnende Macht der Liebe verwandelt werden. Atmender Raum im Kleinen des Gebäudes der Kirche und der Gemeinde und im Großen einer Kultur, einer Gesellschaft, eines Staates.
Vielleicht bietet der Sommer mehr als andere Zeiten Gelegenheiten, mich beschenken zu lassen - von der Wärme der Sonne, vom Rascheln der Blätter, von den Stimmen naher Menschen, vom Rauschen des Wassers, von tausend Dingen, die mir im Gewirr des Alltäglichen oft entgehen. Gott ist in allem entgegenkommend – im wahrsten Sinn des Wortes.


Einen schönen Sommer! Gustav Schörghofer SJ