Das große Entgegenkommen
Die mächtigen Stiegenhäuser barocker Schlösser und Paläste dienten nicht einfach einer Überwindung von Höhenunterschieden, sondern vielmehr der rituellen Darstellung von Höhenunterschieden. Bei offiziellen Anlässen war am Fuß der Treppe ein kundiger Lakai plaziert. Durch vereinbarte Signale gab er nach oben bekannt, welchen gesellschaftlichen Rang der neu ankommende Gast jeweils einnahm. Der Gastgeber und Schlossherr stand oben und kam dem Gast dessen Rang entsprechend mehr oder weniger weit entgegen. Waren es sehr hoch gestellte Gäste, begab sich der Gastgeber zu ihrem Empfang bis zum Fuß der Treppe.
Heute sind die barocken Stiegenhäuser Überreste einer vergangenen Zeit, und die Auf- und Absteigenden werden von Schaulust oder rastloser Geschäftigkeit in Bewegung gehalten. Es haben sich längst andere Orte gefunden, wo deutlich gemacht werden kann, wer oben und wer unten steht, wer es zu etwas gebracht hat und wer sich hinten anstellen muss. „Bei euch soll es nicht so sein, sondern wer bei euch groß sein will, der soll euer Diener sein, und wer bei euch der Erste sein will, soll euer Sklave sein.“ (Mt 20, 26)
Diese Aussage Jesu kehrt die gewohnten Verhältnisse nicht um. Die Unterschiede bleiben erhalten. Es gibt Erste und Letzte, Starke und Schwache, hoch Angesehene und Übersehene, Leute oben und Leute unten. Doch nun setzt sich der Hausherr nicht erst dann in Bewegung und steigt die Treppe hinab, wenn ihm ein besonders hochrangiger Gast gemeldet wird. Er benützt auch den gegebenen Höhenunterschied nicht zur Darstellung seiner eigenen Bedeutung. Nun kommt der Hausherr auch dem entgegen, der kein Ansehen genießt, der möglicherweise sogar verachtet, abgetan, übersehen wird. Das große Entgegenkommen Gottes erweist sich in der Suche nach dem Verlorenen. Was ist in unserer Gesellschaft verloren gegangen? Die Liebe zum Fremden – die Ehrfurcht vor der Person des Anderen – die Wertschätzung von Lebewesen und Dingen um ihrer selbst willen – der Sinn für Stille und für Schönheit … Es ließe sich noch einiges nennen.
„Nur noch ein Gott kann uns retten“ hat Martin Heidegger in einem nach seinem Tod veröffentlichten Interview gesagt (Der Spiegel, 31. 5. 1976) Das mag schon sein. Aus christlicher Sicht kann gesagt werden, er habe es ja schon getan. Er ist uns ja bereits entgegengekommen, bis an das Ende der Stiege. Was ist meine Antwort? Ein möglicher Beginn wäre, aus der Straßenbahn auszusteigen, wenn einer Mutter mit Kinderwagen beim Einsteigen zu helfen ist. Oder so zu sprechen, dass mein Reden nicht die Selbstdarstellung meiner Gescheitheit ist, sondern dem anderen gegenüber ein Entgegenkommen, keine Herablassung, darstellt. Pfingsten ist keine Herablassung, sondern das Fest eines großen Entgegenkommens.
Ein schönes Pfingstfest! Gustav Schörghofer SJ
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Unsere Syrischen Gäste
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