Mitteilungsblatt März 2019

Trocken Brot

Nach langen Jahren habe ich kürzlich wieder jenen wunderbaren Film gesehen, in dem Orgelmusik von Johann Sebastian Bach dann erklingt, wenn das Reden verstummt, Stille herrscht, da keine Antworten mehr zu geben sind, die in Worte gefasst werden könnten. Ermanno Olmi zeigt in dem 1987 fertiggestellten „L´albero degli zoccoli“ das Leben armer bergamaskischer Bauern am Beginn des 20. Jahrhunderts. Vier oder fünf Familien leben auf einem Bauernhof. Sie haben einen Gutteil der Ernte dem Grundbesitzer abzuliefern. Ihr Besitz ist so gering, dass er auf einem Pferdewagen Platz findet. Kinder und Erwachsene arbeiten hart. Es reicht immer nur zum nackten Überleben. Und doch zeigt der Film eine Welt, die ganz nah am Wunder lebt, hautnah an einem großen Geheimnis. Die Menschen sind fromm, Gebete begleiten ihr Leben. Doch das ist es nicht allein. Die Nähe zum Wunderbaren kommt in alltäglichen Ereignissen zur Erscheinung, in Gesten, in kleinen Worten, in unscheinbaren Handlungen. Sie kommt in der großen Stille des Vergangenen zur Erscheinung, die diesen Film regelrecht tränkt und durch die Musik hörbar wird.

Wie kommen wir heute in die Nähe des Wunders? Wie kommen wir in die Nähe der Dinge, wo ihre Ursprünglichkeit offenbar wird, das ganz und gar nicht Selbstverständliche ihrer Gegenwart? Wie kommen wir dahin, dass uns die Dinge wieder berühren, dass wir an den Rand eines Geheimnisses geraten, staunend hautnah zum Wunder?
Wir sind übersättigt, vollgestopft mit Eindrücken, vollgestopft mit Bedürfnissen und dauernd bedrängt von all dem, was diese Bedürfnisse befriedigen soll. Um uns herum lagern sich immer mehr Dinge ab, nicht mehr Gebrauchtes, nicht mehr Interessantes, nicht mehr Verwendbares. Wir verbrauchen Welt und Menschen. Die Erinnerung an Vergangenes gleicht einer Müllhalde, einem Berg von Abfall.
Die Nähe zum Wunder muss ich wollen. Ich muss lernen, dass das Wunder nicht in Zukunft zu entdecken ist, sondern in all dem, was ich als Verbrauchtes hinter mir gelassen habe. Mit dem Blick auf Vergangenes kann ich entdecken, dass mich das Wunder schon immer begleitet hat, das ich ihm immer schon nahe war. Ich kaue das trockene Brot der verworfenen Dinge und entdecke den Geschmack des Geheimnisses. Ich kaue das trockene Brot der schlichten Gesten, der hilflos scheinenden Zuwendung, der kleinen Worte. Ich kaue das trockene Brot all der schlechten Erfahrungen, der mir zugemuteten Gemeinheit, der erlittenen Ungerechtigkeit. Und ich entdecke, dass mich all das weit mehr in die Nähe des Wunders geführt hat als die Annehmlichkeiten eines mit Begehrenswertem vollgestopften Lebens. Das Wunder ist nahe. Um es hautnah zu verspüren, muss ich mich allerdings meiner Habseligkeit entledigen.
Eine schöne Fastenzeit! Gustav Schörghofer SJ