Nicht Wiederkehr, sondern Entgegenkommen
Die Schneeglöckchen blühen wieder. Auch die Schneerosen blühen. Und die kleinen gelben Primeln. Bald blühen auch die Leberblümchen und die Märzenbecher und die Narzissen. Es ist jedes Jahr das gleiche. Die Erde dreht sich immer gleich um die eigene Achse, sie umkreist immer gleich die Sonne. Die Milchstraße wirbelt immer gleich und die Bewegungen des ganzen Alls laufen nach immer gleichen Gesetzen ab. Es gibt nichts Neues. Alles ist schon gewesen und wird wieder sein, ein nie endender Kreislauf. Auch die Geschichte scheint in all ihrer Komplexität diesen Gesetzen zu gehorchen. Niedergang und Aufstieg der Kulturen, ein Kommen und Gehen der Völker. Die Vorstellung eines linearen Fortgangs, eines Fortschritts zum immer Besseren, scheint angesichts der herrschenden Verhältnisse nicht haltbar. Es ist ein Kreislauf des immer Gleichen.
Die Vorstellung der ewigen Wiederkehr des Gleichen hat für mich etwas Erschreckendes. Selbst wenn ich annehme, es wäre alles gut, wirkt sie lähmend. Niemals das Einbrechen des Unerhörten in unser Leben zu erfahren, niemals das Aufleuchten des Neuen, das völlig Überraschende Entgegenkommen des noch nie Geschauten zu erleben, sondern in einer Welt ohne Überraschungen, ohne Aufbrüche zu leben, das halte ich ganz und gar nicht für erstrebenswert. Ich sehne mich nach etwas anderem, das mir im Christentum begegnet. Der christliche Glaube weiß, dass wir in einer Endzeit leben, jetzt schon. Es wird nicht anders und es wird nicht besser. Wir leben an einer Schwelle, inmitten ungeheurer Kämpfe und sind immer in Gefahr. Es gibt keinen Fortschritt. Insofern ist die christliche Sicht von Geschichte der Vorstellung einer ewigen Wiederkehr des Gleichen verwandt. Doch gibt es im Christlichen noch etwas anderes. Eingetaucht in die Kämpfe dieser Endzeit erwarten wir das Entgegenkommen Gottes. Dieses Erwarten teilen die Christen mit den Juden. Die Christen glauben an ein bereits geschehenes Entgegenkommen Gottes in Jesus Christus. Doch auch sie warten auf das endgültige Entgegenkommen.
Nun geschieht dieses Entgegenkommen Gottes nicht nur im Großen eines Weltendes. Es geschieht auch im Kleinen alltäglicher Ereignisse. Es geschieht im Aufblühen der Pflanzen, im Herabsinken der Nacht und im Aufgang eines neuen Tags, es geschieht in allen Dingen dieser Welt, in allen Freuden und in allen Leiden. Es geschieht in einer Welt, die von der Zerstörung durch Menschen gezeichnet ist. Das Entgegenkommen Gottes ist die Offenbarung einer Liebe, die uns auch in den dunklen Stunden des Lebens trägt. Dieses Entgegenkommen entreißt uns der ewigen Wiederkehr des Gleichen. Die Erfahrung dieses Entgegenkommens macht alles neu, immer wieder einzigartig, wunderbar und erstaunlich.
Eine schöne Vorbereitungszeit auf Ostern hin! Gustav Schörghofer SJ
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