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Tiefe Freude
Tiefe Freude
Eben habe ich ein Video angeschaut, das den Künstler John Baldessari vorstellt („THIS NOT THAT“ The artist John Baldessari, a Jan Schmidt-Garre film). Wenn Sie jetzt nicht wissen, wer John Baldessari ist, halb so schlimm. Mich hat etwas beeindruckt, das ich manchmal bei Menschen entdecke, die ihre Arbeit mit Hingabe machen. Es ist eine große Ruhe und Selbstverständlichkeit in der Art und Weise, wie Baldessari sich benimmt und äußert. Ich könnte auch Demut sagen, wenn es nicht ein bisserl zu pathetisch wäre. Aber auf jeden Fall etwas ganz Einfaches und, das teilt sich eher unausgesprochen mit, eine tiefe Anteilnahme am Leben anderer und eine tiefe Freude. Ja, eine tiefe Freude.
Und über die Freude wollte ich ein wenig schreiben. Denn sie ist in unserer gegenwärtigen Situation in arger Bedrängnis. Sicherlich wird auch jetzt gelacht und freuen sich Beschenkte über die erfahrene Zuwendung. Doch die tiefe Freude, die unabhängig von äußeren Umständen erhalten bleibt, die also nicht von erfreulichen Erlebnissen wachgerufen wird, sondern alles Begegnende in einem eigenen Licht betrachten lehrt, diese tiefe Freude hat es heute nicht leicht. Dabei tut sie uns gerade jetzt bitter not. Denn wie sollen wir aus der Bedrückung herausfinden, wenn es nicht ein Licht von innen her gibt, das uns den Weg weist.
Wie können wir diese tiefe Freude entdecken? Denn mir ist klar, dass sie in jedem und jeder da ist, gewissermaßen schlummert, und nicht zu erzeugen, sondern zu entdecken, zu wecken ist. Ich habe einen ganz einfachen Weg gefunden, um diese Entdeckung zu machen. Ich muss, was ich denke, rede und tue mit Hingabe machen. Mit Hingabe – das sagt sich leicht. Denn Hingabe ist eine Form des Vertrauens, wer mit Hingabe etwas tut, vertraut sich einem anderen an, liefert sich gewissermaßen aus. Und das ist eine heikle Sache. Gerade jetzt, wo so viele sehr darauf bedacht sind, sich zu schützen, auf Nummer sicher zu gehen. Vielleicht ist es aber möglich, ein Milieu zu kultivieren, das Hingabe hervorlockt. Ein Milieu also, in dem Vertrauen und Hingabe unterstützt werden. In einem solchen Milieu wird die Erfahrung gemacht, dass ein hingebungsvoller Schritt ins Ungewisse von einem großen Wohlwollen, einer dauernden Liebe begleitet wird. Ich kann den Boden unter den Füßen verlieren, weil das Wasser mich trägt. Ich kann mich hingebungsvoll auf Neues einlassen, weil ich in einem tiefen Vertrauen geborgen bin.
Die tiefe Freude kommt aus der Hingabe. Wir können ein Milieu kultivieren, in dem es möglich ist, diese Hingabe zu üben. Wir können einander wahrnehmen, einander stützen, einander helfen, einander zuhören und auch berühren. Wir können einander beistehen auf vielfältige Weise. So entsteht ein Milieu, in dem Hingabe möglich ist und gelebt wird. Und so werden wir eine tiefe Freude entdecken, die uns immer mehr erfüllt. Und wir werden diese Freude auch in anderen Menschen entdecken.
Gustav Schörghofer SJ
zum Downloaden: Mitteilungsblatt März 2021