Gott spielen
Im Bücherregal meiner Eltern standen drei dickleibige Bände mit breiten Rücken. „Der ewige Grillparzer“ war auf diesen Rücken zu lesen. Doch was da so ewig sei, das habe ich nie erkundet. Die Bücher blieben im Regal. Den hundertfünfzigsten Todestag des Dichters habe ich nun zum Anlass genommen, endlich einmal Grillparzer zu lesen. Keines der Dramen, aber eine Erzählung: „Der arme Spielmann“. Ich war hingerissen. Bitte warten Sie nicht hundertfünfzig Jahre. Lesen Sie Grillparzer!
Inmitten der Erzählung ist ein Satz des armen Spielmanns zu finden, fast verschämt von ihm geäußert, aber wie mir scheint das Motto der gesamten Erzählung: „Sie spielen den Wolfgang Amadeus Mozart und den Sebastian Bach, aber den lieben Gott spielt keiner.“ Der Spielmann wusste seine Geige auf eine ganz eigene Art zu spielen, und sicher meinte er mit diesem Satz eine besondere Art hingebungsvollen Spielens. Durch die Erzählung wird aber deutlich, dass noch etwas anderes gemeint ist. Grillparzer endet seine Erzählung mit einem Bericht über den Tod des Spielmanns. Bei einem Hochwasser hatte er, obwohl er selber nicht in Gefahr war, Kinder gerettet und war in das kalte Wasser gestiegen, um die Ersparnisse seiner Hausleute in Sicherheit zu bringen. Die Strapazen und der Aufenthalt im Wasser haben ihm wenige Tage später den Tod gebracht. Der Spielmann, der seine Geige mit ganzer Hingabe gespielt hat, hat sein Leben für andere aufs Spiel gesetzt, er hat sein Leben für sie hingegeben. Er ist nicht in Sicherheit geblieben.
Es sind viele Menschen zu finden, die ihr Leben für andere einsetzen, sei es in der Pflege, in der Medizin, in der Forschung, in der Kunst, zuhause und im Beruf. Sie „spielen“, was sie gelernt haben, bildhaft gesprochen den Wolfgang Amadeus Mozart oder den Sebastian Bach. Aber spielen sie Gott? Es gibt viele Menschen, die fromm und voll Gottvertrauen sind, die bildhaft gesprochen Gott spielen. Aber spielen sie den Mozart oder den Bach? Lassen sie sich auf diese Welt ein? Oder sind sie ohnedies schon in einer höheren beheimatet? Der eine lässt sich nicht impfen, weil er auf Gott vertraut. Der andere vertraut der Wissenschaft, ist geimpft und denkt nicht an Gott.
Heute werden beide Bereiche, Welt und Gott, gerne auseinandergehalten. Der eine lebt an die Welt hingegeben und denkt nicht an Gott, der andere denkt an Gott und verliert dabei die Welt aus dem Blick. Vom armen Spielmann kann ich lernen, dass eines ohne das andere nicht möglich ist. Hingabe an die Welt erfordert Gottvertrauen, und Gottvertrauen ist ohne Hingabe an die Welt bodenlos. „Gott spielen“ heißt Mozart und Bach mit ganzer Hingabe zu spielen, und diese Hingabe auch im Bemühen um eine Welt zu leben, die fern ist von Mozart und Bach.
Bitte lesen Sie Grillparzer! Gustav Schörghofer SJ
zum Downloaden: /data/cmspagecontents/729.pdf