Immer das gleiche Tun
Von Aschermittwoch bis zum Karsamstag dieses Jahres wird in der Konzilsgedächtniskirche eine große Malerei von Joachim Hohensinn hängen. Sie wird einen kleinen Teil der Gemeinde den Blicken entziehen. Fastentücher sollen ja etwas verbergen. Normalerweise werden Bilder verhüllt, deren sieghafter Glanz wenig in eine Zeit passt, die mehr der Einkehr, der Stille, der Sammlung gewidmet ist. Die Fastenzeit soll als Vorbereitung auf das Osterfest gestaltet werden. Erst mit der Auferstehung bricht wieder der Jubel, der Glanz, der Sieg hervor.
Joachim Hohensinn hat seine große Malerei ursprünglich für die Jesuitenkirche in Wien 1 geschaffen. Dort hing sie von März bis Juni 2019 im Hochaltar vor dem Bild der Aufnahme Mariens in den Himmel. In der Konzilsgedächtniskirche hängt die Malerei mitten im Raum. Hier gibt es keine Bilder zu verhüllen. Hier ist die sich um den Altar versammelnde Gemeinde das lebendige Bild Gottes. Wenn nun ein kleiner Teil der Gemeinde verdeckt wird, kann das daran erinnern, dass im Umgang mit Menschen immer nur Fragmente wahrgenommen werden. Was weiß ich vom Anderen? Welchen Spielraum räume ich ihm ein, nicht das Opfer meiner Vorstellungen und Ansprüche zu sein, sondern der Andere, eine mir immer neue und fremde Welt? Das gilt für den anderen Menschen und radikaler noch für Gott.
Joachim Hohensinn trägt mit der Spachtel Farbe auf. Horizontal gehen die Bewegungen über die Leinwand. Immer die gleiche Richtung, von links nach rechts. Immer das gleiche Tempo. Immer das gleiche Tun. So wird Farbe aufgetragen, Schicht über Schicht. Etwas größerer Druck auf die Spachtel, und alte Schichten werden freigelegt. Es ist ein Verschleiern und Entschleiern zugleich.
Angesichts der Arbeiten von Joachim Hohensinn lassen sich keine Inhalte nacherzählen. Was ist hier dargestellt? Geschieht hier etwas? Alle diese Farbflächen erzählen von Berührungen. Es ist wie die Berührung einer im Sand auslaufenden Welle, wie die Berührung des Winds auf der Wange, wie ein sanftes Streicheln über die Oberfläche eines Gegenstands. Und es ist zugleich wie das Schaben in einer Pfanne, wie das Wegwaschen unter scharfem Wasserstrahl, wie das Peitschen des Eisregens gegen die Haut. Das Zarte und das Grobe ist in diesen Farbflächen zu finden, das Heilende und das Verletzende.
Die Malerei von Joachim Hohensinn hat eine wunderbare Nähe zur Architektur der Konzilsgedächtniskirche, zur Schichtung der Betonblöcke, zur Art, wie dieser Raum ins Helle wächst. Das Element des immer Gleichen und doch Unterschiedlichen der Architektur wird in der Malerei aufgenommen. Immer das gleiche Tun. Die Malerei erzählt vom Auftragen und Abtragen, vom Mehren und Mindern, von Zartem und Grobem. Sie bildet einen Schleier, der hellsichtig macht. Vielleicht ist es gerade das, was heute notwendig ist, um in der Trübe des Alltags das Leuchten des Neuen wahrzunehmen.
Gustav Schörghofer SJ
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