Eine Entdeckung
In den Erzählungen von Franz Kafka kann es geschehen, dass sich mit einem Mal das Gewohnte, alltäglich Vertraute ganz anders zeigt, dass mit einem Mal eine verborgene Tür aufgeht und sich ein neuer Zugang zu jener Welt eröffnet, die schon längst bekannt und immer gleich zu sein scheint. Das sind überraschende, bei Kafka manchmal auch erschreckende Entdeckungen. Dort, wo alles normal seinen alltäglichen Lauf nahm, wird mit einem Mal die Welt anders und neu.
Kürzlich habe ich eine Entdeckung gemacht. Es ist gerade so, als würde sich durch eine bisher nicht beachtete Tür ein neuer Zugang zur scheinbar längst bekannten Welt eröffnen. Es geht dabei um Hingabe. Hingabe hat mich schon lange beschäftigt. Normalerweise wird sie im Christlichen als ein Dienst verstanden. Ich tu etwas für andere, bin für andere nützlich, leiste etwas für sie. Hingabe ist daher mit Anstrengung verbunden, mit Selbstverleugnung und der Aufgabe eigener Wünsche. Das kann dazu führen, dass die Hingabe zur nicht mehr tragbaren Last wird. Weite Zonen des täglichen Lebens werden durch diese Form der Hingabe ausgeklammert, bedauerlicherweise gerade jene Bereiche, die Freude machen.
Es gibt aber noch eine andere Form der Hingabe. Sie lässt sich sehr schön bei Kindern beobachten, die ganz versunken in ihr Tun sind, die hingebungsvoll einfach lustig sein können. Auch im Singen wird diese Form der Hingabe geübt. Ich übe sie auch im Betrachten von Kunstwerken. Diese Hingabe ist eine Form von Genuss, vielmehr als angestrengtes Tun. Sie ist Bereicherung und nicht fortwährende Entäußerung. Mir scheint, sie sei im Christentum der letzten zwei Jahrhunderte einfach übersehen worden. Die moralischen Ansprüche wurden hochgeschraubt, aber von Genuss war in dieser Glaubensform nicht die Rede.
Es gibt eine Hingabe, die den Zugang zur Welt ganz neu erschließt. Es ist die Hingabe derer, die staunend die Welt immer neu sehen, die sich Zeit nehmen für die alltäglichen Wunder. Wir leben fast ausschließlich in einer vorgeformten
künstlichen Wirklichkeit. Dahinter oder daneben oder darunter gibt es aber auch noch eine andere Wirklichkeit. Ich entdecke sie, wenn ich erkenne, dass hinter allen Bildern der Welt, hinter allen Vorstellungen von einem anderen Menschen noch einmal etwas ganz anderes zu entdecken ist. Um dorthin zu finden, muss ich aber aufmerksam und voll Hingabe wahrnehmen. Auch das ist Mühe um den anderen, aber sie wird zu einer Quelle nie versiegender Freude. Es ist die Freude des Heiligen Geistes.
Ein schönes Pfingstfest! Gustav Schörghofer SJ
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