Größer denken
Drei junge Männer werden in einen Ofen geworfen. Rund um sie herum lodern die Flammen. Doch das Feuer tut ihnen nichts zuleide. Die drei stimmen einen Lobgesang an, sie loben und preisen zuerst Gott. Doch dann singen sie, ja, sie singen: „Preist den Herrn, all ihr Werke des Herrn, lobt und rühmt ihn in Ewigkeit.“ Und sie beziehen die gesamte Schöpfung in ihren Lobgesang ein, die Himmel, die Engel, Sonne, Mond und Sterne, Regen und Tau, Winde, Feuer und Glut, Frost und Hitze, Eis und Kälte, Berge und Hügel, Gewächse, Tiere des Meeres, wilde und zahme Tiere. Schließlich wird auch der Mensch erwähnt. Zum Schluss kommen auch die drei Männer persönlich vor: „Preist den Herrn, Hananja, Asarja und Mischael, lobt und rühmt ihn in Ewigkeit. Denn er hat uns der Unterwelt entrissen und aus der Gewalt des Todes errettet.“ (Dan 3, 51-90)
Die Osterikone der Ostkirche zeigt Christus, der in die Unterwelt, den Hades, hinabgestiegen ist, die Hadespforten zertrümmert hat, Adam und Eva an der Hand fasst und sie dem Reich der Schatten und der Vergeblichkeit entreißt. Alle anderen Bewohner der Unterwelt werden gemeinsam mit Adam und Eva herausgerissen. Sie alle hängen sich an den Auferstandenen und hängen sich aneinander.
Durch Jahrhunderte wurde Erlösung als Befreiung des Menschen gedeutet. Die Schöpfung, Steine, Pflanzen, Tiere sind aus dem Blick geraten. Sie wurden als Mittel gesehen, „damit sie ihm (dem Menschen) bei der Verfolgung des Ziels helfen, zu dem er geschaffen ist.“ (Ignatius von Loyola, Geistliche Übungen, 23) Doch die Erde, die Pflanzen, die Tiere sind mehr als nur Mittel. Sie haben ein Recht, wahrgenommen, gepflegt und behütet zu werden. Auch sie wachsen in die große Erlösung hinein. „Auch die Schöpfung soll von der Sklaverei und Verlorenheit befreit werden zur Freiheit und Herrlichkeit der Kinder Gottes“ schreibt Paulus an die Gemeinde in Rom (8,21). Heute, nach dem Ende der Neuzeit, das Romano Guardini so hellsichtig erkannt hat, und dem Ende der alten Kultur des christlichen Abendlandes kommt diese Wirklichkeit wieder in den Blick.
Wir leben in einem Zeitalter großer Zerstörung und gewaltiger, schmerzhafter Verluste. Wir leben aber auch in einer Zeit, die uns neu und überraschend vor Gott stehen lässt. Mit wem oder mit was will ich vor Gott stehen? Die drei jungen Männer im Ofen hatten eine sehr umfangreiche Liste. Sie zeigen uns: Auferstehung gibt es nicht individuell. Auferstehung gibt es nicht für einen Teil. Entweder alle oder niemand, entweder alles oder nichts. An wen oder an was hängen wir uns im Feuer der Gegenwart? Ohne wen oder ohne was will ich nicht auferstehen? Gerade jetzt können wir lernen, größer zu denken.
Eine schöne Zeit auf Pfingsten hin! Gustav Schörghofer SJ
zum Downloaden: /data/cmspagecontents/760.pdf