Die Schule des Sehens
In der PGR-Klausur
dieses Jahres ist ein Leitbild für unsere Pfarre entworfen worden. Es heißt darin: Unsere Aufmerksamkeit widmen wir vor allem jenen Bereichen, denen die Aufmerksamkeit Jesu gegolten hat. Und dann ist unter anderem von einer Option
für Kunst und Musik die Rede.
Nun ist angemerkt worden, dass eine Option für Kunst und Musik zwar lobenswert sei, aber mit der
Aufmerksamkeit Jesu wohl wenig bis gar nichts zu tun habe. Wo haben Kunst und Musik für Jesus eine Rolle gespielt? Ich würde sagen: Sie haben für ihn keine Rolle gespielt. Es kommt auch gar nicht darauf an, ob sich Jesus diesem Bereich der Wirklichkeit, den es in der uns heute geläufigen Form damals ja noch gar nicht gab, zugewendet hat. Es geht mir selber beim Betrachten von Kunstwerken auch um etwas anderes als bloß darum, Kunst anzuschauen. Mir öffnet die Kunst, und das habe ich immer und immer wieder erfahren, einen besonderen Zugang zur Wirklichkeit. Sie schult meine Aufmerksamkeit. Sie ist für mich eine Schule des Sehens.
Worauf macht mich die Kunst aufmerksam? Sie zeigt mir, dass in den kleinen und oft übersehenen Dingen des Lebens Schätze zu entdecken sind. Sie zeigt mir, dass im Verworfenen Kostbarkeiten verborgen liegen, dass es im Mistkübel einen Schatz zu entdecken gibt. Sie eröffnet mir auch Freiräume dort, wo alles zu Ende, alles heillos verfahren, alles in eine Sackgasse geraten scheint. Die Kunst vermag es, in einer Welt von tausend Vergeblichkeiten, in einer Welt voll unlösbarer Situationen, heillosen Zwangs der Tatsachen einen Raum der Freiheit offen zu halten, ja diesen Raum herzustellen. Und all dem hat die besondere Aufmerksamkeit Jesu gegolten. Er hatte einen Blick für die Wunder im Kleinen. Er vermochte es, die Welt so anzuschauen, dass mitten in der Aussichtslosigkeit sich ein großer
Horizont der Hoffnung auftat.
Allein durch die Art und Weise seiner Wahrnehmung hat Jesus Menschen Freiräume eröffnet. Denken wir an die Geschichte mit der Ehebrecherin (Joh 8, 2-11) oder an die Begegnung mit Zachäus (Lk 19, 1-10). Wer die Evangelien einmal unter diesem Gesichtspunkt liest wird entdecken, dass Jesu Blick auf die Welt immer befreiend und erlösend ist. Er nimmt in einer komplexen Wirklichkeit jene Bereiche der anderen wahr, die einen Weg ins Freie, ins Offene ermöglichen. Und genau das vermag die Kunst auch. Daher ist es durchaus angebracht, eine Option für Kunst und Musik damit zu begründen, dass wir unsere Aufmerksamkeit jenen Bereichen widmen, denen die Aufmerksamkeit Jesu gegolten hat.
Es wird daher eine Schule des Sehens geben, zu der ich jetzt schon herzlich einlade. Näheres dazu werden Sie bald erfahren.
Herzlich Gustav Schörghofer SJ
Plakat
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