Warum in die Kirche gehen?
Unsere Körper sind, wie es die Künstlerin Barbara Kapusta einmal genannt hat, „leaky bodies“. Sie sind löchrig, leck, durchlässig wie ein Sieb. Es gibt ein Innen und ein Außen, beide kommunizieren miteinander in einem ständigen Austausch. Es gibt Körperfremdes, das mit dem Körper in einer nicht zu lösenden Gemeinschaft verbunden ist, Maschinen in unserem und an unserem Körper. Wir sind auf vielfache Weise vernetzt, eingebunden in große Zusammenhänge. Wir kommunizieren über große Distanzen miteinander. All das weitet unser Bewusstsein und unsere Macht im Zugriff auf die Welt ungeheuerlich aus. Ein Leben ohne diese Maschinen können wir uns vielleicht gar nicht mehr vorstellen.
Doch ist ein Unterschied im Kommunizieren auf Distanz, wie es Maschinen möglich machen, und im Kommunizieren von Körper zu Körper, Haut zu Haut, durch Berührung, durch unmittelbares Wahrnehmen, Hören, Riechen, Schmecken, Tasten. Es ist ein Unterschied, ob ich mit anderen im selben Raum versammelt bin oder an einer Videokonferenz teilnehme. Eine Messe, von einer Gemeinde im Raum der Kirche gefeiert, ist etwas anderes als eine Messe, die von einem Priester allein in einem Saal gefeiert wird, während andere vor ihren Bildschirmen sitzen und via Livestream teilnehmen. Worin besteht der Unterschied? In der Distanz. Das gleichzeitige Versammeltsein im selben Raum wird aufgebrochen in eine Menge von unterschiedlichen Räumen. Eine Versammlung von Menschen, die sich im selben Raum als Gemeinschaft erfahren, zersplittert in eine Ansammlung von Individuen, die separiert voneinander manipulierbar sind. Eine Gemeinschaft von Menschen eröffnet einen eigenen Horizont. Der Horizont des Vereinzelten wird ihm von den Medien vorgegeben.
Es macht daher einen wesentlichen Unterschied aus, ob ich mich mit anderen in einem Raum versammle, um Musik zu hören, Messe zu feiern, der Aufführung einer Oper, eines Schauspiels beizuwohnen oder eine Feier zu begehen. Ich trete aus dem Raum der Manipulierbarkeit durch fremde Vorgaben in einen Raum der Freiheit, der mir von anderen Menschen eingeräumt wird. Selbstverständlich kann auch im physischen Raum manipuliert werden, doch kann ich mich dieser Manipulation leicht durch Raumwechsel entziehen. Der Sinn des gemeinsamen Hörens, Sehens, Erlebens im selben Raum, wie sie durch Musik, Gesang, Sprache bei einer Messe wie in einem Konzert geschenkt werden, ist aber, einen Raum der Freiheit zu erschließen. Dieser Raum muss physisch erfahren werden, er kann nicht virtuell hergestellt werden. Er erfordert die physische Anwesenheit, die Gegenwart der Körper im selben Raum. Die gemeinsame Feier stellt hohe Ansprüche, sie ist aber ein hohes Gut, das gepflegt werden muss, um der Freiheit Raum zu schaffen. Daher ist es wichtig, dass wir uns versammeln, um als Einzelne im Hören, Sehen, Riechen, Schmecken, Tasten zur Gemeinschaft und zu einer Freiheit zu finden, die uns geschenkt ist und die wir uns gegenseitig zu schenken imstande sind.
Gustav Schörghofer SJ
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