Die Königsdisziplin
„Gschamster Diener“ (soll wohl heißen: gehorsamster Diener) – wann haben Sie das zuletzt gehört. Ich kann mich nicht erinnern. Vielleicht war es in einem Film, aus dem Mund von Hans Moser vielleicht. Doch heute sagt das niemand mehr. Dienen und Gehorsam sind ein bisserl aus der Mode geraten. Das hat vielleicht mit den Erfahrungen des letzten Jahrhunderts zu tun: „Ich habe nur meine Pflicht getan“, „Befehl ist Befehl“ usw. Heute ist selbständiges Denken angesagt. Jeder ist sein eigener Herr, jede ihre eigene Dame. Allerdings: Woher weiß ich, was ich zu tun habe? Das war früher leichter, da ist es einfach angeschafft worden. Der Herr hat angeordnet, der Diener hat gehorcht. Aber heute?
Das Dienen ist keine einfache Disziplin, es ist eine hohe Kunst. Keineswegs kann es nur darauf eingeschränkt werden, empfangene Befehle auszuführen. Die hohe Kunst des Dienens besteht darin, aus einer Einsicht in größere Zusammenhänge wahrzunehmen, was im Moment zum Gelingen des Zusammenlebens, zum Wohl anvertrauter Menschen, zum Besten einer Umgebung, die weit über die Menschen hinausreicht, zu tun ist. Das erfordert Aufmerksamkeit, Fachkenntnisse, Wachheit, die Bereitschaft zum Einsatz der besten eigenen Kräfte. Gehorsam bedeutet in diesem Zusammenhang nicht das unhinterfragte Ausführen von Anweisungen, sondern Achtsamkeit für das Wohl anderer. Das fängt beim Offenhalten von Türen, Überlassen von Sitzplätzen an und findet kein Ende. Denn wer sich auf diese Dynamik einlässt, wird entdecken, dass diese Übung der Achtsamkeit immer weiterführt. In Zeiten totalitärer und diktatorischen politischer Systeme haben nicht wenige Menschen diese Übung mit ihrem Leben bezahlt. „Man muss Gott mehr gehorchen als den Menschen“ haben jene gesagt, die diesen Weg als Glaubende gegangen sind.
Was soll das heißen: „Gott gehorchen“? Gott gibt keine Befehle, er schafft nichts an. Freilich gibt es die Gebote, aber wie sie zu erfüllen sind, was sie in einer gegebenen Situation fordern, bleibt offen. Ich selber muss eine Entscheidung treffen. Gott pfuscht nicht in meine Freiheit hinein. Ganz im Gegenteil schenkt er mir Freiheit, setzt mich ein in die Souveränität meiner einmaligen Person. Ich bin also mein eigener Herr, meine eigene Dame. Es gibt nur ein Gebot: „Liebt einander so, wie ich euch geliebt habe“. Darin sind Gottesliebe und Nächstenliebe zusammengefasst. Und wer Jesus entdeckt, wird in ihm den Diener entdecken. „Der Menschensohn ist nicht gekommen, um bedient zu werden, sondern um zu dienen …“ heißt es bei Markus (10, 45) und bei Johannes wird durch die Fußwaschung angedeutet, wie sich Jesus den Jüngern gegenüber verhält.
Es gibt einen Weg zu Gott, der nicht nach oben, sondern nach unten führt. Es ist der Weg Jesu Christi. Auf diesem Weg ist die Achtsamkeit für alles, was lebt und existiert, zu lernen. Auf ihm ist zu lernen, was ich mit meinen persönlichen Fähigkeiten zum Wohl dieser Welt beitragen kann. Es ist der Weg des Dienens, der Königsdisziplin menschlichen Verhaltens.
Gustav Schörghofer SJ
zum Downloaden: Mitteilungsblatt November