Liebe Alle,
Wir alle kennen unsere Kirche. Heute meine ich damit unser Kirchengebäude. Wir alle haben auch eine Vorstellung davon, was alles in ihr passiert. Ich darf Ihnen sagen, dass meine Vorstellungen viel zu klein gegriffen waren.
Es gibt die Messen und die Gottesdienste. Und dann passiert noch so viel mehr. Die Kirche wird jeden Tag zwischen 7:30 Uhr und 8 Uhr aufgesperrt. Am Sonntag kann es auch etwas später sein. Geschlossen wird sie zwischen 18 und 20 Uhr. Dazwischen ist sie frei zugänglich und wird vielfältig genutzt.
Menschen kommen, um bei Maria eine Kerze zu entzünden. Und natürlich sprechen sie dort auch ein Gebet. Ein ganz beliebter Ort in unserer Kirche. Es kommen auch viele Menschen und beten in der Kapelle vor dem Tabernakel. Wir haben begonnen dort die Lichter bei den Seitenaltären aufzudrehen. Das gibt der Kapelle eine sehr schöne Atmosphäre. Hier kann man ganz in Ruhe und für sich beten. Man wird kaum jemand anderem begegnen. Ob man sitzt oder kniet, keinen interessiert es.
Es wird aber auch sonst im Kirchenraum gebetet. Menschen kommen für ein kurzes Gebet herein. Manche sitzen etwas, manche gehen umher. Viele finden den Weg hinein. Besonders freut es mich immer, wenn ich Kinderwagen in der Kirche sehe. Eltern oder Großeltern kommen mit den Kindern. Ein besonderer Ort, das spüren alle, egal wie alt sie sind.
In meiner Schulzeit bekam ich nur einmal eine gute Note in einer schriftlichen Religionsarbeit. Es ging darum, wie man einem kleinen Kind den Glauben nahebringt. Ich schrieb, dass ich mit ihm oder ihr in die Kirche meiner Schulgottesdienste gehen würde. Ein alter Bau mit einer tollen Atmosphäre.
Es gibt aber auch ganz andere Besuche bei uns. Manche gehen zielstrebig zu unserem WC. Manche machen ihre Jause bei uns. Einer hat seinen Rausch ausgeschlafen. Im Sommer suchen einige Abkühlung – das gelingt aber nur sehr beschränkt. Schüler:innen von verschieden Schulen überbrücken freie Zeit. Gerne natürlich auch draußen, aber manchmal treibt die Witterung sie herein. Und manchmal bietet die Kirche den Schutz für ein vertrautes Gespräch.
Einige kommen auch gezielt zum Spielen; verstecken, fangen, Höhlen bauen mit den Polstern, die Orgel inspizieren, mit den Kerzen spielen und das sind nur die Spiele, von denen ich weiß oder deren Spuren wir gefunden haben. Leider kommen auch immer wieder Menschen zum Stehlen.
Soll es weiter so bunt bei uns zugehen? Wenn es nach mir geht, ja. Manchmal kostet es uns etwas. Aber unter dem Strich ist es so wertvoll, dass die Kirche ein Ort für so viele ist und ihre unterschiedlichen Bedürfnisse. Wäre es nicht schön, wenn wir alle sagen könnten, dass die Kirche seit unseren Kindesbeinen ein Ort gewesen ist, an dem ich mich frei bewegt habe und der in allen Lebens- und Gemütslagen eine Heimat war?
Wenn Sie an der Ecke Lainzer Straße / Jagdschlossgasse vorbei kommen, dann schauen sie doch kurz herein. Kein Gebet nötig, aber möglich.
Glück auf!
Ihr P. Stefan Hengst SJ
zum Downloaden: Mitteilungsblatt Oktober 2024