Mitteilungsblatt September 2021

​Eine Übung für das kommende Jahr

Zwei Worte sind mir in diesem Sommer besonders nahe gegangen: Stille und Hingabe. Das hat sich einfach so ergeben in den ruhigen Tagen der Ferien. Ich habe mich immer wieder gefragt, wie es nun nach den eineinhalb Jahren der Pandemie weitergehen wird. Die Krankheit ist nicht hinter uns, und schon werden Corona-Denkmäler in Auftrag gegeben. Aber was hilft uns, einen Weg in die Zukunft einzuschlagen und frei zu werden für das, was die vergangenen Monate uns möglicherweise doch gezeigt haben?

Stille war in diesen Monaten sicher eine Erfahrung, die viele geteilt haben, gemeinsam mit der Erfahrung notwendiger Distanz. Stille entsteht dort, wo Distanz genommen wird, wo ein Abstand eingehalten wird, wo das Andrängen des Lärms unserer Welt einmal abgewehrt werden kann. Oder wo ich diesem ständigen Andrängen nicht abwehrend begegne, sondern all dem Aufdringlichen einfach ausweiche, es an mir vorüberziehen lassen. Stille ist etwas, das ich äußerlich vorfinden kann, in der Natur, in von Menschen gestalteten Räumen. Stille kann ich aber auch in mir selber entdecken. Ich kann mich unter die Ebene des ständig aufwühlend einströmenden Gewirrs von Informationen und Ansprüchen sinken lassen, als würde ich abtauchen in eine ruhige Tiefe und die Zonen des bewegten Wassers über mir lassen. Dort, in dieser Stille, komme ich zu mir, dort nehme ich etwas wahr, das in mir ist, zu mir spricht, sich mir mittteilt. In diesen ruhigen Zonen wird das erkannt, was als „Berufung“ bezeichnet wird, keine aufgenötigte Beschäftigung, kein vom Zwang der Notwendigkeit diktiertes Tun, kein bloßes Reagieren auf anprallende Impulse. Es gibt da noch etwas anderes, eine Stimme tief in mir, ein Gefühl für die Richtigkeit dessen, was zu tun ist. Das kommt aus der Stille.
Hingabe kann auf vielerlei Weise geübt werden, in der Musik, im Gespräch, im Schreiben, im gekonnten und verantwortungsvollen Tun, ja auch im Schweigen und Hören. Immer bedeutet Hingabe, dass ich aus mir herausgehe, dass ich mitteile von dem, was ich habe und bin. Die Hingabe hat daher eine enge Beziehung zur Stille. Sie ist die Antwort auf das, was ich in der Stille wahrnehme.
Die beiden Worte Stille und Hingabe sind mir deswegen so wichtig geworden, weil sie mich hinweisen auf etwas, das uns die Pandemie möglicherweise gelehrt hat oder uns lehren könnte: Distanz ist wichtig, um einen eigenen Freiraum zu bewahren, in dem Stille herrscht, in dem ich zu mir selber komme. Beim Einhalten von Distanz werden wir aber nicht stehen bleiben. Als von einem inneren Ruf getragene Hingabe wird die Distanz in der Wendung zum Nächsten immer wieder überwunden werden.
Wäre das nicht eine schöne Übung für das kommende Jahr? Gustav Schörghofer SJ