Mitteilungsblatt September 2022

​Neu und schön

Das Morgenjournal in Ö1 ist eine hörenswerte Sendung. Aber schön langsam wird es mir zu viel. Jeden Morgen wird eine jeweils neue Variante der alten Misere präsentiert. Immer öfter wechsle ich zu Johann Sebastian Bach. Orgelmusik. Die Canzona in b BWV 588 oder das mächtige Orgelstück BWV 572 oder gar die Passcaglia in c BWV 582. Und das immer wieder. Auch eine Wiederholung. Aber nicht die Wiederholung der alten Misere, sondern immer neu die Erfahrung von etwas anderem. Es ist keine Weltflucht. Diese Musik drückt mich in die Welt hinein. Es ist eine Welt, die des Neuen fähig ist. Das suche ich.

Das gibt es nämlich, dieses Neue, den neuen Anfang. Auch in der Kirche gibt es das, die Taufe ist ja gerade die Feier eines neuen Anfangs, einer neuen Geburt. Sicherlich werde ich dieses Neue nicht erfahren, wenn ich mich immer neu in die alte Misere vertiefe. Aber wie kann ich es erfahren? Das Hören der Orgelmusik von Johann Sebastian Bach allein genügt ja doch nicht.
Von Jesus habe ich mir zwei Weisen abgeschaut, wie ich für das Neue offen sein und wie ich selber mitwirken kann, dass es sich zeigt. Zum einen ist es das Entgegenkommen, zum anderen die Entdeckung. Um es genauer zu sagen, es ist ein Entgegenkommen in Schönheit und das Entdecken der Schönheit im Anderen.
Die Schönheit wird in der katholischen Kirche sehr unterschätzt. Mehr noch, sie wird nicht wirklich gepflegt und nicht in ihrer Bedeutung anerkannt. Wer aber die Evangelien liest, wird entdecken, dass Jesus einen feinen Sinn für Schönheit hatte. Mehr noch, er hat andere auf vielfache Weise gelehrt, Schönheit zu entdecken. Beides zeigt sich in den Gleichnissen vom Himmelreich (Mt 13) und in vielen anderen Erzählungen Jesu genauso wie in seiner Art und Weise, menschliches Verhalten zu interpretieren (etwa in Mt 26, 6-13). Was heißt es aber, einem anderen in Schönheit entgegenzukommen? Die notwendige Voraussetzung dafür ist, sich aller äußerlichen Macht, sei sie materiell, politisch oder durch Privilegien bedingt, zu entledigen. Es gibt eine Schönheit, die aus Glauben, Hoffnung und Liebe hervorgeht, das Leuchten einer geistigen Schönheit, das sich auch in der Leiblichkeit zeigt. Sie zeigt sich im Verhalten denen gegenüber, die unter Machtmissbrauch zu leiden haben, und im Verhalten denen gegenüber, die Macht missbrauchen. Diese Schönheit schafft einen für alle offenen Raum.
Ein Entgegenkommen in Schönheit lehrt auch, die Schönheit im Anderen zu entdecken. So entstehen Orte der Schönheit. An der Art und Weise, wie Menschen, Tiere, Pflanzen, Dinge behandelt werden, ist gut zu erkennen, ob dort dieser Geist des Entgegenkommens weht. Und wo er weht, dort geschieht das Neue, dort gibt es den neuen Anfang, die neue Geburt. Das Neue ist an der Schönheit zu erkennen und der Blick für die Schönheit entdeckt das Neue.
Wagen wir das Neue und Schöne! Gustav Schörghofer SJ